9,8 Millionen Knoten

Shahram Abbasi räumt für die Reparatur des Riesenteppichs die Verkaufsräume leer

 

Sibirien 1942: In den Höhlen und Schluchten des Altaigebierges erforschen Professor Rudenko und sein Archäologenteam skythische Fürstengräber. Sie stoßen auf Sensationelles: Eingeschlossen im Eis ruht dort der älteste Teppich der Welt, kunstvoll geknüpft im  4. Jahrhundert vor Christus. So lange zieren Teppiche die Böden und Wände der Menschheit. Ihre Ornamente, Farben, Formen, Knoten erzählen tausendundeine Geschichte, doch hören kann sie nur, wer der seltenen Kunst Disziplin und Leidenschaft schenkt.

 

Wie Shahram Abbasi. Im zarten Alter von 15 Jahren schon lernte der gebürtige Iraner die hohe Kunst des Teppichknüpfens. Geduld und Erfahrung haben ihn zu einem Fachmann gemacht, der internationale Konkurrenz nicht scheuen muss. Und so fand vor wenigen Wochen ein ganz besonderer Gast den Weg in die Abbasi Teppich-Manufaktur an der Steinstraße: Ein etwa 150 Jahre alter Teppich aus dem zentralpersischen Raum, bis dato beheimatet in der Deutschen Botschaft in London. Und dorthin wird das seltene Stück auch zurückkehren, allerdings nicht ohne unter Abbasis Händen wieder zu alten Glanz gefunden zu haben."Eine schöne Aufgabe", freut sich der 41-Jährige."Das ist schon etwas Besonderes."

 

Ausgefallen ist vor allem die Größe des Stücks: 9,4 × 3,9 m misst der Teppich und besteht aus sage und schreibe 9,8 Millionen Knoten, ein wahres Ungetüm." Das muss eine Spezialanfertigung sein", mutmaßt der Experte," so was macht kein Knüpfer einfach so. Vermutlich eine private Bestellung. Damals haben Staatschefs, Politiker so was für spezielle Räume in Auftrag gegeben." Weil Shahram Abbasi aber keinen Palast sondern nur ganz normale Geschäftsräume zur Verfügung hat, räumte er kurzerhand die Verkaufsfläche frei. Tagtäglich wird hier nun emsig gewerkelt, schließlich gibt es einiges zu tun: Kanten müssen erneuert, ausgetretene Flächen ausgebessert werden."Der Teppich wurde schon einmal restauriert", weiß Abbasi,"allerdings nicht sehr fachmännisch." Damit solch ein Fauxpas nicht noch einmal passiert, beschäftigt sich der Chef selbst mit dem edlen Stück, tatkräftig unterstützt von seinen Mitarbeitern Karin Kneffel und Bahram Nazarinia. Material und Werkzeug bezieht er nach wie vor aus dem Iran:"Sowas wird hier gar nicht hergestellt", erklärt er und zeigt eine seltsam flach geformte Schere.

 

Und dann setzt sich Shahram Abbasi auf seinen Hocker und beginnt zu schneiden, zu fädeln, zu knoten. Es ist eine Arbeit, die ohne Zweifel das Potenzial birgt, unruhige Geister in den Wahnsinn zu treiben, doch: "Für mich ist das kein Beruf, es ist eine Leidenschaft. Wenn ich so ein Stück unter die Finger kriege, bin ich mit Leib und Seele dabei. Man muss geduldig sein, eine ruhige Hand haben und sich konzentrieren können."Neben den Restaurierungsarbeiten entwirft Shahram Abbasi einige Modelle, die meist schlichter, dezenter daher-kommen als ihre teils Jahrhunderte alten Vorgänger: "Früher konnten sie keinen einfarbigen Perserteppich kaufen, denn jedes Stück bestand aus bis zu zehn verschiedenen Farben", erklärt der Geschäftsmann. "Wir haben die Farbtonung reduziert, so ist es leichter für eine schlichte moderne Einrichtung den passenden Teppich zu finden."Sprach´s und zeigt auf ein cremefarbenes Exemplar, das ganz zarte, goldschillernde Ornamente zieren.